Secondhand-Zeit

Theater || Videoarbeit
Schauspielhaus Graz, 2016

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„Secondhand-Zeit“

Team

REGIE Alia Luque
BÜHNE UND KOSTÜME Christoph Rufer
VIDEO Richard Haufe Ahmels
DRAMATURGIE Elisabeth Geyer

Ensemble

Fredrik Jan Hofmann, Mathias Lodd, Sarah Sophia Meyer, Tamara Semzov


Im November 1917 wurde der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ausgerufen. Millionen Menschen auf vier Kontinenten der Erde wuchsen fortan mit der stolzen Gewissheit auf, zur besseren Hälfte der Menschheit zu gehören. Das Ziel war, weltweit den Kommunismus durchzusetzen, eine Art Himmelreich auf Erden. Dies verlangte heldenhafte Eigenschaften: Mut, Opferbereitschaft, Leidensfähigkeit, Stärke, Ausdauer, Intelligenz. Dass die Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges geradezu Übermenschliches geleistet hatte bei der Niederschlagung des Faschismus war jenes Narrativ, das lange die Siegesgewissheit gegenüber dem Kapitalismus heraufbeschwören konnte. Bis in den 1980er-Jahren mit Perestroika und Glasnost dieses Weltbild ins Wanken geriet.

Denn als Ende der 80er-Jahre der Eiserne Vorhang fiel, waren es vor allem zwei Faktoren, die dafür sorgten, dass das Volk die Errungenschaften des Sozialismus bereitwillig hergab: die Aufdeckungen des stalinistischen Terrorregimes und die marode Wirtschaft, die nicht in der Lage war, Sehnsüchte nach westlichen Konsumgütern mit eigenen Erzeugnissen zu befriedigen. Eine ganze Welt ging im Tausch gegen „Wurst und Jeans“ verloren: Vorbei die Zeiten, in denen man sich nächtelang am Küchentisch die Köpfe heiß redete und eine bessere Welt beschwor. Auf einmal waren Träume weniger wichtig als real erfüllte Bedürfnisse und Ideen, Gedichte, Theaterstücke, Lieder, Bücher weniger wertvoll als eine größere Wohnung oder ein Auto.

Erinnerungen wie diese erstehen in den Gesprächen, die Swetlana Alexijewitsch mit ehemaligen Sowjet-Bürger*innen geführt hat. Das postsowjetische Lebensgefühl speist sich für viele aus der bitteren Erkenntnis, dass sie eine große Verheißung, die Utopie einer anderen Gesellschaftsordnung, auf dem Altar des Kapitalismus geopfert haben und dass den meisten das Verlorene inzwischen mehr wert scheint als das Gewonnene. Und wie von selbst erklärt sich auch die aktuelle russische Politik, die eine große Demütigung durch Wiedererlangung imperialer Größe zu kompensieren versucht. Die Autorin gibt in ihrem einzigartigen Dokumentarstil ganz normalen Sowjet-Bürger*innen eine Stimme und lässt diese 100 Jahre nach der Oktoberrevolution erzählen, warum die Revolution gelang – und warum sie nach 70 Jahren scheiterte.